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Geschichte des Kinos
"Ob das Kino gut oder schlecht ist, es ist auf alle Fälle einem Schauspielhaus
hundertmal vorzuziehen...", meinte Egon Friedell 1912. Nun, auch wenn wir dieser
Ansicht nicht uneingeschränkt zustimmen - eines ist sicherlich richtig: der Film bietet
Möglichkeiten, die das Theater so nicht hat. Katastrophenfilme, zum Beispiel, lassen
sich mittels Bild und Ton so realistisch gestalten, dass der Zuschauer kaum noch weiß,
was Dichtung und was Wahrheit ist. Nehmen wir nur einmal den Film "Earthquake", der in
den 70er Jahren die Kinokassen zum Klingeln brachte. Eine neuartige Soundtechnologie
gestaltete das Erdbeben so überzeugend, dass nicht nicht nur die Zuschauer mitbebten.
Angeblich schlugen sogar die Seismographen einiger Erdbebenwarten aus. Im belgischen
Ostende musste der Film sogar verboten und ein Kino geschlossen werden, weil einige
ältere Häuser durch die Erschütterungen vom Einsturz bedroht waren. Doch schon ein
Kurzfilm der Gebrüder Lumiére wirkte so überwältigend, dass einige Menschen
fluchtartig den Saal verließen. Oder besser gesagt: den Salon "Indien", denn jener
denkwürdige Abend des 28. Dezember 1895 fand im Grand Café in Paris statt. Der Andrang
hielt sich jedoch in Grenzen. Nur etwa dreißig Besucher hatten sich von den
geschäftstüchtigen Brüdern einen Franc abluchsen lassen, um der ersten öffentlichen
Filmvorführung beizuwohnen.
Natürlich hatten die Lumiéres ihre Vorläufer. Die Skladanowskis in Berlin, zum
Beispiel. Allerdings machten die ihre Filme mit einer Aufnahmefrequenz von nur acht
Bildern pro Sekunde. Was bedeutete, dass die Filme erst auseinander geschnitten
wurden, dann zu zwei Streifen zusammen geklebt, um schließlich mit einem eigens
angefertigten Doppelprojektor, dem Bioskop, abwechselnd projiziert zu werden. Ein
technisch sehr unausgereiftes Verfahren, das ihre französischen Kollegen nur milde
belächeln konnten. Louis-Jean und Auguste Lumiére arbeiteten mit dem Kinematographen.
Den hatten sie zwar nicht direkt selbst erfunden; vielmehr verdankten sie den Apparat
in seinen Grundzügen Thomas Alva Edison. Doch die Lumiéres hatten ihn verbessert, so
dass er am Ende Kamera und Projektor in einem war. Die Brüder saßen ja sozusagen an
der Quelle. Ihr Vater besaß in Lyon eine Fabrik für fotografische Geräte.
Die Lumiéres filmten fortan alles, was ihnen vor die Linse kam: die müden Arbeiter
beim Verlassen der väterlichen Fabrik genauso wie die Fütterung eines Babys. Alles
Szenen, die kaum länger als eine Minute dauerten und an jenem Dezemberabend mit auf
dem Programm standen. Insgesamt wurden in der Geburtsstunde des Kinos elf Filme
gezeigt - der ganze Zauber war in 20 Minuten vorbei. Doch die Zuschauer - waren es
derer auch wenige - zeigten sich schier überwältigt. Gleich zur Premiere griffen die
Lumiéres in die Trickkiste. Der Abriss einer Mauer wurde auch rückwärts gezeigt, so
dass sie vor den staunenden Zuschauern wieder neu entstand. Sogar eine winzige
Filmposse war darunter. "Der begossene Begießer" - so der Titel des Filmchens,
zeigte, wie ein Junge einen Gärtner mit einem Wasserschlauch ärgerte, so dass diesem
unvermutet ein Wasserstrahl ins Gesicht spritzte. Das Publikum grölte vor Lachen und
konnte doch noch nicht fassen, wie das alles möglich war. Und dann kam der Schock.
Die Brüder Lumiére wollten sich nicht lumpen lassen und den ersten Kinogängern für
einen Franc nun wirklich was ganz Besonderes bieten. "Die Ankunft eines Zuges im
Bahnhof von La Ciotat" hieß der nächste Kurzfilm. Und mehr war auf dem Streifen auch
gar nicht zu sehen. Doch als der Zug dicht an der Kamera vorbei raste, brach Panik
aus. Einige der Zuschauer sprangen vor Angst hinter die Sitzbänke, andere stürzten
gar aus dem Raum. So sehr fürchteten sie, der Zug könne direkt aus der Leinwand in
den Salon, den indischen, hinein fahren. Nur gut, dass damals das Gerüusch der Lok
noch nicht zu hören war. Der Tonfilm kam erst dreißig Jahre spüter. Bald strömten
die Menschen in die Lumiér'schen Vorstellungen, so dass die Brüder ihr Programm 20
mal am Tag vorführen mussten und es damit auf 2500 Francs täglich brachten. Dabei
ging es ihnen gar nicht so sehr um die Filme selbst, sondern um den Verkauf ihres
Kinematographen. In ganz Europa warben sie für ihr Wundergerät und wurden so zu
Pionieren der Filmgeschichte.
© Elke Endraß
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